Dr. Josef Spindelböck
Predigt für Allerseelen
2. November 1999
L 1: 2 Makk 12,43-45; L 2: 1 Thess 4,13-18;
Ev: Joh 11,17-27
oder L 1: Ijob 19,1.23-27; L 2: Röm 8,14-23; Ev:
Joh 14,1-6
oder L 1: Jes 25,6a.7-9; L 2: Phil 3,20-21; Lk
7,11-17
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
Am heutigen Tag denken wir in Liebe an alle unsere Verstorbenen. Wir beten besonders für jene, die noch der Reinigung oder Läuterung bedürfen, also für "alle armen Seelen", wie es im Sprachgebrauch der katholischen Frömmigkeit seit Jahrhunderten heißt. Die Frage mag uns kommen: Sind unsere Verstorbenen wirklich "arm"? Ein ungläubiger Mensch würde sagen, sie sind deshalb "arm", weil sie tot sind und daher nichts mehr haben vom Leben. Aber wenn die Verstorbenen nach der Auffassung ungläubiger Menschen überhaupt nicht mehr leben würden, dann könnten sie ja nicht einmal mehr "arm" im Sinn von bedauernswert sein ...!
Aus der Sicht des Glaubens wollen wir weiterfragen: Wer ist nach dem Tode eines Menschen eigentlich "arm"? Sind es die Lebenden, denen ein lieber Mensch entrissen wurde und die daher in Trauer sind, oder können auch Verstorbene als "arm", als "arme Seelen" bezeichnet werden? Wenn ja, wieso und in welchem Sinn?
Wenn wir den katholischen Glauben als ganzen ernst nehmen und wirklich an das Weiterleben der unsterblichen Menschenseele nach dem Tod glauben, dann können wir wohl antworten: Wer gestorben ist und wirklich bei und mit Gott lebt, wer also bereits zur Anschauung Gottes in der Herrlichkeit des Himmels gelangt ist, der ist nicht mehr "arm", sondern wahrhaft "selig". Das sind die Heiligen, die wir gestern gefeiert haben ("Allerheiligen"). Wer bereits im Himmel ist, ist kein "arme Seele" mehr, sondern höchst glücklich! Ohne Zweifel wollen diese Menschen nicht mehr mit uns Lebenden tauschen.
Daß es auch eine fundamental negative Möglichkeit gibt, das ewige Heil zu verfehlen und die Anschauung Gottes für alle Ewigkeit zu verlieren, das lehrt uns die Heilige Schrift und der Glaube der Kirche mit dem Begriff der "Hölle". Nun sagt die Kirche - im Gegensatz zu den Heilig- und Seligsprechungen vieler Personen - nichts darüber, wer und wie viele Menschen möglicherweise verdammt sind. Wer aber davon betroffen ist, der steht im höchsten Unglück. Weil er sich dieses Unglück auch selbst verschuldet hat durch seinen Mangel an Liebe, ist er dafür auch nicht zu bedauern. Es ist seine freie Entscheidung, die Gott für alle Ewigkeit respektiert. Hölle ist kein unabwendbares Schicksal, sondern freie Wahl. Auch ein solcher Mensch, ein Verdammter, ist darum keine "arme Seele", sondern das endgültige Resultat seiner eigenen unglücklichen Entscheidung.
Wer aber sind dann die "Armen Seelen"? Die Kirche zählt all jene Menschen dazu, die zwar nach dem Tod gerettet worden sind und daher unwiderruflich die ewige Seligkeit des Himmels erlangen werden, die aber noch eine gewisse Reinigung und Läuterung ihrer Seele nötig haben. Diesen Läuterungszustand bezeichnet man als "Fegefeuer" oder Purgatorium. Es ist die Flamme der Liebe und der Sehnsucht nach Gott, die diese Menschen verzehrt und läutert. So werden sie vorbereitet für den Augenblick der seligen Begegnung mit Gott und für die ewige Gemeinschaft mit ihm und untereinander im Himmel. "Arm" sind sie also nicht deshalb, weil sie endgültig gerettet sind (denn das ist bereits ihre Freude), sondern weil sie noch eine gewisse schmerzliche Reinigung von ihren Sünden und Sündenstrafen erfahren müssen. Und Liebe kann bekanntlich auch weh tun, so schön und unverzichtbar sie tatsächlich ist!
Nun besteht in der Kirche Gottes zwischen allen Menschen, die Christus angehören durch das Sakrament der Taufe, eine wunderbare Gemeinschaft. So sind wir auf Erden Lebenden mit den Heiligen des Himmels verbunden und zugleich mit den "Armen Seelen" im Fegefeuer. Eben darum beten wir auch für unsere Verstorbenen, dass Gott der Herr sie reinige von ihren Sünden und sie aufnehme in sein himmlisches Reich, in die ewige Ekstase der liebevollen Anschauung Gottes. Ganz besonders wertvoll und wichtig ist es, wenn wir für die Verstorbenen die heilige Messe mitfeiern oder für sie eine Messe feiern lassen.
Eine besondere Art und Weise, den Verstorbenen zu helfen, ist es, für sie "Ablässe" zu gewinnen. Hier erschrickt der moderne Mensch und äußert sein Unverständnis. "Ablässe" ordnet er dem "finsteren Mittelalter" zu, wo es angeblich üblich war, sich mit Geld den Himmel zu erkaufen. Gewiss hat es hier in der Geschichte bedauerliche Missbräuche gegeben. Aber der Ablass an sich ist nichts Unheiliges, sondern ein großes Geschenk, das es uns möglich macht, für die Verstorbenen auch nach ihrem Tod noch in Liebe Sorge zu tragen.
Was ist ein Ablass? Es handelt sich um eine besondere Gnade, also ein Geschenk Gottes, wodurch Gott uns etwas nachlässt, was wir eigentlich noch zu tragen hätten. Es sind dies die noch nicht bewältigten persönlichen Folgen unserer Sünden, die so genannten "Sündenstrafen". Jede Sünde, so klein sie auch ist, hat ja nicht nur einen Unwert in sich, sondern zeitigt auch üble Folgen. Diese müssen auch nach der Vergebung von Schuld vielfach durch gestanden, durchlebt und durchlitten werden. Oft geschieht das schon in diesem Leben. Wer aber nach dem Tod noch etwas zu büßen hat, wird dies im Fegefeuer erleiden. Und da bietet die Kirche ein Hilfsmittel an: Es ist möglich, so sagt sie, dass wir Lebende stellvertretend für die Verstorbenen gewisse Werke der Frömmigkeit und des Gebetes, Taten der Nächstenliebe und der Buße verrichten, um damit die Sündenstrafen der Verstorbenen zu verringern, gewissermaßen "abzukürzen", soweit wir da in zeitlichen Kategorien denken dürfen. Ein Ablass ist also ein von Gott geschenkter und von der Kirche vermittelter Nachlass zeitlicher Sündenstrafen für Lebende und Verstorbene.
Voraussetzung für die Gewinnung eines Ablasses ist nicht so sehr die äußere "Leistung", das äußere Werk, sondern vielmehr die innere Bußgesinnung als Haltung der Offenheit gegenüber Gott, der allein Sünden vergibt und das göttliche Leben schenkt.
Vom 1. bis zum 8. November kann täglich einmal der Allerseelenablass für die Verstorbenen gewonnen werden. Voraussetzung dafür sind echte Bußgesinnung mit dem festen Willen zur Abkehr von jeder Sünde, kundgetan durch die in diesen Tagen (vor oder auch nach Allerheiligen) abgelegte sakramentale Beichte und den Empfang der heiligen Kommunion sowie das Gebet nach der Meinung des Heiligen Vaters, verbunden mit einem Friedhofsbesuch und mit dem Gebet für die Verstorbenen.
Unser Ziel muss es sein, täglich in der Liebe zu wachsen, die keine Grenzen kennt und die selbst den Tod überwindet. Gott möchte, dass wir in der Gemeinschaft dieser Liebe zu ihm und zu allen Menschen unsere selige Erfüllung finden. Darauf hoffen wir und dafür leben und sterben wir. Möge uns die Barmherzigkeit Gottes all das schenken, was uns zum ewigen Heile dient. Amen.