Dr. Josef Spindelböck

Predigt für Allerseelen
2. November 2002

 

L 1: 2 Makk 12,43-45; L 2: 1 Thess 4,13-18; Ev: Joh 11,17-27
oder L 1: Ijob 19,1.23-27; L 2: Röm 8,14-23; Ev: Joh 14,1-6
oder L 1: Jes 25,6a.7-9; L 2: Phil 3,20-21; Lk 7,11-17

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Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

 

In den Tagen von „Allerheiligen“ und „Allerseelen“ wird uns mit dem Blick auf die Gräber unserer Verstorbenen bewusst, wie vergänglich unser Leben auf Erden ist. „Wir sind nur Gast auf Erden“, heißt es in einem bekannten Lied. Angesichts des Todes besteht eine grundlegende Gleichheit aller Menschen. Reiche und Arme, Gerechte und Ungerechte – alle müssen einmal sterben, zu einer Stunde, die sie nicht selbst bestimmt haben und die allein Gott der Herr im voraus kennt!

 

Was ist die christliche Antwort auf diese jeden Menschen betreffende irdische Vergänglichkeit? Stirbt wirklich der ganze Mensch? Gibt es ein Fortleben nach dem Tod? Gibt es die Auferstehung? Unser katholischer Glaube bejaht das Fortleben der Seele nach dem Tod und hat sogar für den Leib Hoffnung: Er wird auferweckt werden am Jüngsten Tag, wenn Christus wiederkommt in Herrlichkeit.

In diesem Glauben beten wir auch für unsere Verstorbenen. Das Gebet ist ein Ausdruck dafür, dass wir uns mit den Verstorbenen verbunden wissen über den Tod hinaus. Liebe ist stärker als der Tod. Die Liebe lässt uns hoffen für alle Menschen auch jenseits des Todes.

 

Was aber geschieht nach dem Sterben? Der Mensch tritt vor Gottes Angesicht und muss Rechenschaft ablegen über sein Leben. Wir nennen dies das persönliche Gericht, im Unterschied zum allgemeinen Gericht, das am Ende der Zeiten bei der Wiederkunft Christi stattfinden wird.

Im Licht des allwissenden Gottes erkennt hier die Seele des betreffenden Menschen alles, was er im Leben an Gutem und Bösem getan hat. Ganz klar wird die Grundausrichtung erkennbar, in der der Mensch steht – entweder in Liebe auf Gott und die Mitmenschen hin oder in entschiedener Abkehr davon. Aufgrund dieses unfehlbaren Urteils erfolgt der göttliche Richterspruch, der die Seele eintreten lässt in die himmlische Glorie oder für ewig ausschließt vom Reiche Gottes.

 

Was aber hat es mit dem „Fegefeuer“ auf sich? Wie lässt sich das verständlich machen? Weil Gott der absolut Heilige ist, muss jeder, der ihm naht, gereinigt sein von aller Schuld und aller Anhänglichkeit an das Böse. Es ist also durchaus möglich, dass der Mensch nach dem Tod noch eine gewisse Reinigung braucht, um wirklich frei zu sein für die Begegnung mit dem lebendigen Gott. Es ist das Feuer der Liebe und der Sehnsucht, das den Menschen hier gleichsam verzehrt und ihn läutert. Wenn Liebende voneinander getrennt sind oder Kinder großes Heimweh nach ihrem Elternhaus empfinden, dann ist das eine irgendwie vergleichbare Erfahrung. Der Mensch möchte zu Gott, kann es aber noch nicht; und das tut weh. Diese Reinigung bezeichnet die Kirche als „Purgatorium“ oder „Fegefeuer“. Wer ihr unterworfen ist, wird zu den „Armen Seelen“ gezählt. Obwohl es mit Schmerzen verbunden ist, ist die Freude über das Gerettet-Sein größer. Ein Mensch in diesem Zustand nimmt all das willig an, was Gottes Liebe und Barmherzigkeit über ihn verhängt hat, bis er ganz bereit ist für die Anschauung Gottes in Herrlichkeit.

 

Wenn wir nun für die Verstorbenen beten, so können wir ihnen dadurch beistehen in ihrer Läuterung und Prüfung. Die Feier der heiligen Messe sowie das Gebet für die „Armen Seelen“ gereicht ihnen zum Trost und zur Hilfe, wodurch ihre Leiden abgekürzt werden. Gott wird darauf in Güte herabsehen und ihnen den baldigen Eintritt ins Himmelreich gewähren!

Wenn wir all dies bedenken, dann wird uns bewusst, dass der christliche Glaube eine frohe Botschaft ist. Am Ende steht das göttliche Leben, für alle, die eintreten dürfen ins himmlische Reich, weil Gott der Herr sie für würdig befunden hat. Diese „Würdigkeit“ wird auch dem größten Sünder dann geschenkt, wenn er sich bekehrt und an das Evangelium glaubt. Lassen wir nicht nach im guten Streben und denken wir im Gebet an all jene, die unsere liebevolle Fürsorge über den Tod hinaus brauchen, damit sie das Ziel des ewigen Lebens bei Gott erreichen!

 

Dr. Josef Spindelböck

 

 

 

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