Manche mögen es schlicht als „Kitsch“ abtun: doch
Andachts- und Sterbebildchen gehörten weithin zum volkstümlich praktizierten,
vielfach tief empfundenen Katholizismus. Eine kleine Kulturgeschichte dieser
Gebetsbuchbeilagen.
Fromme „Zettelwirtschaft“ im
Gebetbuch
Andachtsbildchen – Zeugnisse der Volksfrömmigkeit
Als kleiner Junge schüttelte der Verfasser ein längst
antiquiertes Gebetbuch der Großmutter kräftig durch. Aus den Seiten flatterte
eine stattliche Zahl an Andachts- und Gedenkbildchen zu Boden. Einige der
Exemplare in Farbe erinnerten an Wallfahrten und österliche Kommunionteilnahmen.
Andere, meist Fotodrucke in Schwarzweiß machten auf längst Verstorbene und
Kriegsgefallene aus der Familie und aus der Nachbarschaft aufmerksam.
Die meist Spielkarten großen „Andachtsbilder“ – so definiert es der „Brockhaus“
– sind „bildliche Darstellungen aus der christlichen Heilsgeschichte, von
Heiligen oder christlichen Symbolen. Sie entstanden aus Miniaturen in
Nonnenklöstern und wurden später von handwerklichen Formschneidern und
Briefmalern hergestellt. Nach der Gegenreformation wurden sie Massenware für
Wallfahrtsorte“. Soweit die Kurzbeschreibung des Lexikons.
Dass Andachtsbildchen einige äußerst interessante Kapitel
der Kunst- und Druckgeschichte erzählen, machte vor einem Vierteljahr eine
Ausstellung im Pfarrzentrum St. Martin in Ettenheim deutlich. Gezeigt wurde die
Sammlung des 52-jährigen Polizeibeamten Joachim Haller-Burger aus
Ettenheim-Münchweier. In seiner Ausstellungsbroschüre ist zu entnehmen, dass die
Pergament- und Spitzenbildchen des 17. und 18. Jahrhunderts hauptsächlich von
Klosterfrauen als künstlerische Handarbeiten hergestellt wurden. Ursprünglich
hat man sie auf Pergament gemalt und mit scharfen Spezialmessern auf Lederkissen
gestochen und geschnitten. Später verwendete man zur Herstellung der
Spitzenbilder auch Papier.
Diese Bildchen sind anspruchsvolle Kulturdokumente des farben- und
formenprächtigen Barock und des Rokoko, dessen Mode, nämlich die „textile
Spitze“, also auch in diesem Bereich Eingang gefunden hatte. Schon zur Zeit
ihrer Entstehung waren diese Bilder hoch begehrt, luxuriös teuer, zu kaufen
waren sie dennoch eher selten. Meist wurden sie für den Eigenbedarf hergestellt
– etwa in Klöstern – und in wertvolle, geschnitzten Rahmen aufgehängt.
Aber auch für das arme und „gemeine Volk“ gab es die kleinen Heiligenbildchen im
Angebot der fliegenden Händler. Diese Bildchen wurden ab dem 14. Jahrhundert als
Holzstiche, und später, mit dem Aufkommen modernerer Druckverfahren, als Kupfer-
und Stahlstiche und noch später als Lithographien hergestellt. Zum Teil wurden
die Bilddrucke dann von Hand koloriert – Stück um Stück!
Mit der Einführung neuer Drucktechniken zu Beginn des 19.
Jahrhunderts konnten die Bilder in großen Auflagen maschinell und damit sehr
preisgünstig hergestellt werden.
Mit zunehmender Quantität aber sank die Qualität, kommentiert Joachim
Haller-Burger, zudem ließen der Wandel in Stil und Geschmack wie auch die
Ausdrucksformen der Volksfrömmigkeit und die Veränderungen in der Liturgie die
Verbreitung und die Bedeutung der Andachts- und Heiligenbilder immer mehr
schwinden. Auch Hans Bleibrunner, Autor des Buches „Andachtsbilder aus
Altbayern“ (München 1971), beklagt den Geschmacksverfall Ende des 19.
Jahrhunderts, der mit den neuen Reproduktions- und Drucktechniken einher
gegangen sei: „Wer heute (1971!) die Wallfahrtsandenken etwa in den Läden von
Altötting auf ihre Qualität hin mustert, nimmt bedauernd zur Kenntnis, dass
dieser Tiefstand bis heute nicht überwunden ist…“
Mögen Kunstsachverständige viele der Bildmotive- und Textilillustrationen in die
Schublade „Kitsch“ verbannen, diese Gebetbuchbeilagen dokumentieren in ihrer
Mehrheit trotzdem den volkstümlich praktizierten, gewiss vielfach tief
empfundenen und erlebten Katholizismus. Nicht zuletzt steht die Kulturgeschichte
der Andachtsbildchen auch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der
Kulturgeschichte der Wallfahrten.
Darüber hinaus fanden Andachtsbildchen allerdings auch
recht profane Verwendungszwecke im Umfeld der Schulen und Pfarrhäuser. „Brave“
Schulkinder bekamen sie vom „Herr Pfarrer“ für gute Noten geschenkt und
nummerierte Bildchen, anlässlich der Osterkommunion ausgeteilt, dienten gar
statistischen Zwecken.
Ein ganzes Kapitel für sich schrieben die Toten- oder Sterbebildchen, die ihre
Blütezeit im Zusammenhang mit der Entwicklung der fotomechanischen Drucktechnik
um 1900 herum erlebten; waren doch ein wichtiger Bestandteil dieser
Gebetbuchbeilagen die Portraitfotos der Verstorbenen. Ihre Vorgänger, die
„Sterbezettel“, gab es bereits im 17. Jahrhundert. Etwa ab Mitte des 19.
Jahrhunderts wurden Totenbildchen mit schwarzen Trauerrändern gedruckt. Auf der
einen Seite fanden verschiedene Bildmotive wie Herz-Jesu, Passion Christi, Maria
und Josef mit dem Jesuskind und viele Schutzheilige ihren Platz, aber auch
Tauben und Engel und die „betenden Hände“ von Dürer wurden „Mode“. Auf der
anderen Seite des Bildchens hat man den Betrachter zum Gebet für den oder die
Verstorbene aufgefordert. Gewiss gehören die „Sterbebildchen“ der massenhaft
gefallenen Soldaten aus den beiden Weltkriegen immer noch zu den erschütternden
Dokumenten der Zeitgeschichte und zur Leidensgeschichte von vielen Familien.
Wer bereits über einen Internetanschluss verfügt, der möge
einmal Begriffe wie „Andachtsbilder“ in die so genannte „Suchmaschine“ eingeben,
um dann erstaunt feststellen zu können, in welchem Ausmaß Andachts- und
Sterbebildchen landauf und landab begehrte Sammlerobjekte sind.
Über 10 000 Exemplare hat Joachim Haller-Burger aus Ettenheim-Münchweier schon
zusammengetragen und katalogisiert. Angefangen hat seine „Sucht nach
Heiligenbildchen“ (Badische Zeitung) wie bei anderen Sammlern mit einem
unverhofften Geschenk, in diesem Fall der Schwiegermutter. Andere Sammler hatten
als Kind mal das Gebetbuch der Großmutter kräftig durchgeschüttelt und sind
dabei fündig geworden.
Klaus Amann